Bugholzmöbelmanufaktur

Die Erfolgsgeschichte der Möbelfirma Thonet ging auf das Jahr 1819 zurück, als der Tischlermeister Michael Thonet einen Betrieb zur Möbelherstellung in seiner Heimatstadt Boppard am Rhein eröffnete. 1830 begann Thonet mit neuen Verfahrenstechniken mit dem Biegen von Holz zu experimentieren. Dabei schnitt er die Furnierblätter in die Faserrichtung des Holzes zu Streifen, kochte sie in Leim, presste sie zusammen und bog sie in die gewünschte Form. Heraus kamen leichte und elegante Bugholzmöbel zu verhältnismäßig günstigen Preisen, deren Arbeits- und Materialaufwand geringer war als übliche Verfahren.

[…] Trotz innovativer Idee blieb der finanzielle Erfolg aufgrund fehlender Absatzmöglichkeiten in der überschaubaren Region aus.

Michael Thonet ging 1842 nach Wien wo er bald das Privilegium  „jede, selbst die sprödeste Gattung Holz auf chemisch-mechanischem Wege in beliebige Formen und Schweifungen zu biegen“ erhielt und die Gelegenheit bekam, gemeinsam mit dem Möbelfabrikanten Carl Leistler im Stadtpalais Liechtenstein zu arbeiten. 1849 machte sich Thonet mit seinen vier Söhnen selbständig und gründete einen Betrieb in der Gumpendorfer Hauptstraße 396 in Wien VI. […]1852 wurde ein Geschäftslokal im Palais Montenuovo in der Strauchgasse 247-248 in Wien I eröffnet.  1853 wurde der Betrieb mit 42 Mitarbeitern in die Mollardmühle in der Mollardgasse 173 in Wien VI verlegt.

1856 entschied man sich aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten und des erhöhten Bedarfs am Rohstoff Holz, die Produktion von der Mollardgasse in Wien ins mährische Koritschan (Korycany) zu verlegen, wo schließlich ab 1857 produziert wurde und Designklassiker wie der Sessel Nr. 14 (1859) hervorgingen. 1858 wurde der Betrieb in der Mollardgasse und das Geschäftslokal in der Strauchgasse aufgelöst und eine neue Verkaufsniederlassung im Wohnhaus der Thonets in der Jägerzeile 26 (heute Praterstraße) in Wien II eingerichtet. Wien fungierte ab diesem Zeitpunkt nur noch als Verkaufszentrum. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg expandierte das Unternehmen im Laufe der Jahrzehnte in weitere Fabriken. Anlässlich des groBen Erfolgs auf der Londoner Weltausstellung 1862 wurde ein weiteres Geschäft in Ludgate Hill 16 in London eröffnet. Nach dem abgelaufenen Patent von 1856 sahen sich die Gebrüder Thonet ab 1869 mit konkurrierenden Firmen wie Jacob & Josef Kohn konfrontiert. In den Jahren 1875/1876 entstanden ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus in der Kärntnerstraße 12 in Wien I sowie 1883 ein Warenhaus in der Brandstätte 2 am Stephansplatz in Wien 1, das 1945 durch Bomben zerstört wurde.

Um die Jahrhundertwende ging die Geschäftsleitung auf die nächste Generation der Thonets über. 1922 kam es zur Übernahme durch die vom jüdischen Geschäftsmann Leopold Pilzer 1907 gegründete Mundus AG, zu der auch seit 1914 die Firma Jacob & Josef Kohn angehörte. Nach wirtschaftlichen Einbrüchen im Ersten Weltkrieg konnte sich unter Pilzers Leitung die Thonet Mundus AG durch strategische Maßnahmen wie die Reduktion der Produktpalette sowie dem Verkauf neuartiger Stahlrohrmöbel am internationalen Markt neu etablieren. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich vereinbarte Pilzer vor seiner Emigration in die USA einen Aktientausch mit der Familie Thonet. Pilzer behielt die Rechte für Amerika, England und Frankreich, die Familie Thonet für Österreich und Deutschland.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der einstige Weltkonzern in mehrere Einzelfirmen, darunter Thonet Industries in den USA, Thonet Frères in Frankreich, Thonet Frankenberg in Deutschland und Thonet Wien aufgeteilt. […]

Wie kaum eine andere Möbelfirma in der Donaumonarchie verkörperten die Gebrüder Thonet zeitloses Möbeldesign und das ästhetische Zusammenspiel von Form und Funktion. Durch die kongeniale Verbindung der Weiterentwicklung ihrer Holzbiegetechnik für eine industrielle Serienproduktion, ihre progressiven Geschäftsstrategien und ihre Einbindung von modernen Architekten wie Otto Wagner, Otto Prutscher, Josef Frank, Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier und Marcel Breuer als Entwerfer wurden sie zu einem der innovativsten und modernsten Möbelproduzenten weltweit. Das Unternehmen, das um 1900 rund 6.000 Mitarbeiter innen beschäftigte, hatte Verkaufsniederlassungen in Amsterdam, Berlin, Brünn, Brüssel, Budapest, Frank-furt, Graz, Hamburg, London, Mailand, Moskau, München, Neapel, New York, Odessa, Paris, Prag, Rom und St. Petersburg.

Der gute Ruf der Marke Thonet wurde bestätigt durch die regelmäßige Teilnahme an internationalen Ausstellungen wie der Weltausstellung in London 1851, der Weltausstellung in Paris 1855 und 1867, der Weltausstellung in Wien 1873, der Weltausstellung in Philadelphia 1876, […] den Winterausstellungen im k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie in Wien 1899-1900, der Weltausstellung in Paris 1900, der Imperial-Royal Austrian Exhibition in London 1906 und der Deutschen Werkbund-Ausstellung in Köln 1914.

Lit.: vgl.: E. Ottillinger (Hrsg.), Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne, Wien, 2018, S. 149 ff